Gestohlene Herkunft

Written by Franz Weninger on the 1st of September 2022

Wie kam es dazu, dass die industrielle Produktion Herkunft verwenden darf, aber Weine mit wenig oder keinen Zusätzen ihre Herkunft verleugnen müsse? Was ist Weinkultur? Und wie soll unsere Zunkunft aussehen?

Haribo Weinland, eine feine Auslese!
Von der Ahr über die Mosel an den Rhein – dank der aufgeprägten Flussnamen ist Weinland eine kleine Weinreise im Beutelformat. Im Abgang wird es dabei angenehm fruchtig mit ausgeprägten Noten von Ananas, Erdbeere, Himbeere, Orange und Zitrone. Zum Wohl!

Zutaten: Glukosesirup; Zucker; Gelatine; Dextrose; Säuerungsmittel: Citronensäure; Frucht- und Pflanzenkonzentrate: Saflor, Apfel, Rettich, Spirulina, Süßkartoffel, Karotte, Zitrone, Schwarze Johannisbeere, Hibiskus; Wein; Aroma; Überzugsmittel: Bienenwachs weiß und gelb, Carnaubawachs; Invertzuckersirup. Kann Spuren von Milch, Weizen enthalten.

Es war wieder einmal soweit: wir sandten unsere Toplagen-Weine Dürrau und Kalkofen 2019 an das Bundesamt für Weinbau in Eisenstadt – denn um die Lagennamen aufs Etikett schreiben zu dürfen, müssen wir um eine staatliche Prüfnummer für die Weine ansuchen.
Nach der Verkostung durch das Bundesamt die Ernüchterung: Erteilung der staatlichen Prüfnummer abgelehnt, Begründung: sensorische Überprüfung ergab „fehlerhaft, unharmonisch, untypisch“.

Wie jeder Mensch eine Herkunft hat, so hat auch jeder Wein eine.

Wie schon so oft, das gleiche Spiel. Wir arbeiten zertifiziert biologisch und biodynamisch in den Weingärten. Wir verarbeiten für unsere Weine nur Trauben, die auch in unseren eigenen Weingärten gewachsen sind. Wir können also zu 100% sicherstellen, dass z.B. die Trauben für den Dürrau auch auf dieser speziellen Lage gewachsen sind. Im Keller versuchen wir dann, genau den spezifischen Geschmack dieser Lage, dieses Bodens, in den Wein zu bringen. Und das bedeutet für uns vor allem eines: Weglassen. Keine Reinzuchthefen, kein alles übertönender Holzgeschmack, keine Schönungsmittel, keine Filtration. All das, um möglichst den puren Geschmack der Lage bis in die Flasche zu bringen.
Und dann wird also nach jahrelanger Arbeit von einem Verkostungspaneel beschlossen, dass dieser Wein nicht typisch nach der Lage schmecke. Und wir den Lagennamen somit nicht aufs Etikett schreiben dürfen. Nicht einmal der Orts- oder Regionsname dürfen genannt werden, die kleinste geografische Einheit ist in diesem Fall „Weinland“ (für Weine aus der Region Burgenland). Sehr bedenklich ist für uns, dass wir diese Entwicklung nicht nur in Österreich beobachten, sondern auch in Ungarn. Dort ist es bei abgelehnter Verkostung sogar eigentlich unmöglich, den Wein auf den Markt zu bringen, da es die niedrigere Qualitätsstufe „Landwein“ oder „Wein aus Ungarn“ schlichtweg nicht gibt.

Was ist in Österreich passiert, dass diese Verkostung nicht mehr funktioniert?

Vor rund 35 Jahren, als in Österreich das strengste Weingesetz eingeführt wurde, hatten wir eine große Anzahl von individuellen Weinen. Wein schmeckte nach dem Keller der Winzer, nach dem Ort an dem er gewachsen war und hin und wieder auch nach der Rebsorte. Wein war ein handwerkliches Produkt. Reinzuchthefe wurde erst in den 80igern erfunden, auch sonstige Zusätze im Keller gab es bis auf Schwefel nicht.
Da damals ein Großteil der zur Prüfnummer eingereichten Weine so schmeckte, kamen diese Weine auch durch die Verkostung. Warum jetzt nicht mehr?
Im Burgenland haben wir beobachtet, dass zwischen der Ankunft der modernen Önologie und deren großflächigem Einsatz über zwanzig Jahre vergangen sind. Aber heute ist es zum Standard geworden, dass neben Hefe, Hefenährstoffe, Enzyme, Bakterien und Tannine in der Weinbereitung eingesetzt werden. Inzwischen wird die großen Masse der eingereichten Weine so hergestellt und somit hat sich für die Verkoster eine neue Situation ergeben. Weine, die nicht industriell hergestellt werden, fallen auf. Und dies genügt, die Unsicherheit der Verkoster hervorzurufen, und die Weine abzulehnen.

Natürlicher Geschmack ist mittlerweile unbekannter Geschmack.

Auch in Frankreich sehen wir, dass immer mehr der Weine, die wir am spannendsten finden, ein einfaches „Vin de France“ als Herkunftsbezeichnung auf dem Etikett tragen. Aber nicht aus allen Regionen. In kleinen Regionen, in denen viele bäuerliche Winzer arbeiten (Beaujolais, Burgund, Jura), funktioniert diese Verkostung. In Regionen, in denen Wein industrialisiert ist (Südfrankreich) funktioniert sie nicht mehr.
Das lässt einen traurigen Schluss zu: Österreich entwickelt sich zu einer Industriewein-Nation, leider auch Ungarn.

Warum dürfen vergorene Milch und vergorenes Gemüse (z.B. Sauerkraut) nach dem Gärungsprozess riechen, aber vergorene Trauben müssen nach Frucht riechen?

Um das bildlicher darzustellen, gehen wir von vergorenem Traubensaft zu vergorener Milch. Käse entstand wie Wein. Milch verdarb und wurde dadurch haltbar. Das Verderben wurde über Jahrtausende kultiviert. So enstanden je nach Region und Futter der Tiere unterschiedliche Käsearten. In der Lagerung passierte es, dass Käse zu schimmeln begann - so entstanden Blauschimmel, Rotschmiere und viele andere Käsesorten. Nur weil man diese Zufälle zuließ entstanden neue Käsearten.
Wenn man in Österreich bei Weinen nur eine industrialisiert Ausbauart (Reinzuchthefe, Filtration, Schwefel) zulässt, wird sich die Weinkultur nicht weiterentwickeln, sondern die Vielfalt wird sich verringern.

Viele österreichische Winzer haben der Prüfnummer den Rücken gekehrt - alles Produzenten, welche international geschätzt und anerkannt sind, aber laut österreichischer Prüfnummernkommission keine Qualitätsweine produzieren.
Auch wir stellen uns nun schon einige Jahre lang die Frage, speziell da in unserer Familie Weine immer mit ihrer Herkunft bezeichnet wurden.

Aber uns bleibt keine andere Wahl. Wir werden weiterhin Weine herstellen, welche ihre Herkunft in sich tragen, auch wenn sie diese nicht mehr am Etikett tragen dürfen.

An alle Winzer, die sich an mich wenden und fragen, was wir dagegen tun könnten, mein Vorschlag: schickt Eure Weine nicht mehr zu diesen Verkostungen. Wenn immer mehr Weine aus dem Weinland, dem Steirerland oder dem Bergland von den besten Sommeliers der Welt serviert werden, wird unsere Politik mehr Druck haben, diese unsinnige Verkostung zu stoppen. Damit die verantwortungsbewussten Bürger (an die die EU glaubt) wieder die Wahl haben, Herkunft und Ort in unterschiedlichen Interpretationen zu verkosten.

Update: Chris Yorke, der ÖWM-Chef, hat mich angerufen und wir hatten ein langes angenehmes Gespräch. Er hat mir mitgeteilt, dass die ÖWM gemeinsam mit der Weinbaupolitik an einer Lösung des Problems arbeitet und diese noch 2022 präsentiert wird. Ich hoffe, dass dies eine zukunftsorientierte Lösung wird, welche individuellen Weinen nicht die Herkunft raubt.

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